Neurodivergenz

Lernen Sie im folgenden einige Begrifflichkeiten kennen und erfahren Sie Antworten auf wichtige Fragen. 

Neurodiversität 

Der Begriff Neurodiversität bezieht sich auf die Tatsache, dass menschliche Gehirne und Nervensysteme von Natur aus unterschiedlich funktionieren. 

Neurodivergenz 

Von Neurodivergenz wird gesprochen, wenn bestimmte Gehirnfunktionen (z.B. Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Denkweise, Interessen, Sprache, Motorik) eines Menschen so deutlich anders ausfallen, dass es innerhalb der Gesellschaft nicht mehr als im „normalen Bereich“ wahrgenommen wird.

Neurotypisch 

Personen, deren Gehirnfunktionen mit dem übereinstimmen, was in der Gesellschaft als „normal“ empfunden wird, werden als neurotypisch bezeichnet. 

Ist Neurodivergenz eine Störung oder Erkrankung? 

Neurodivergenz ist angeboren. Es handelt sich somit um eine Disposition (Veranlagung). Neurodivergenz ist keine Diagnose, Störung, Erkrankung oder Behinderung, sondern die Bezeichnung für eine besondere Funktionsweise des Nervensystems. Jedoch kann Neurodivergenz in bestimmten Kontexten zu Leidensdruck führen und als störungs- oder behinderungswertig empfunden werden, wenn die vorherrschenden äusseren Anforderungen oder Erwartungen nicht vereinbar mit dem neurodivergenten Funktionieren sind. Dann werden in der Regel Diagnosen gestellt. 


Beispiele von Neurodivergenzen sind: 

Auch Depressionen, Ängste, Zwänge, Essstörungen oder Persönlichkeitsstörungen können (müssen aber nicht!) Ausdruck einer zugrundeliegenden Neurodivergenz sein. 

Könnte ich neurodivergent sein? 

Typische Erlebensweisen neurodivergenter Menschen sind z.B.: 

Diese Erlebensweisen bestehen lebenslang und können bemerkbare Konsequenzen in der Lebensbewältigung nach sich ziehen, sich auf die Selbstwahrnehmung, das psychische Wohlbefinden, Beziehungen oder die erwartete Leistungsfähigkeit auswirken. Als neurodivergenter Mensch haben Sie sich möglicherweise ein Leben lang selber hinterfragt oder sind von anderen hinterfragt worden, schämen sich, fühlen sich fremdartig, „gestört“, merkwürdig, „unreif“, zuwenig „stark“ oder belastbar und haben den Wunsch, „normal“ zu sein. 

Oftmals bleiben neurodivergente Erlebensweisen jedoch auch im Verborgenen und führen zu innerem Leidensdruck. Unter grosser Anstrengung wird versucht, die eigenen Bedürfnisse und Empfindungen zu verstecken und sich äusserlich anzupassen. Dies kann sehr erschöpfend sein. 

Sind wir etwa alle neurodivergent? 

Jein. Genau genommen funktioniert das Nervensystem eines jeden Menschen auf einzigartige Art und Weise- eben weil Menschen als Gruppe neurodivers sind. Jedoch ergeben sich nicht bei allen durch ihre Verschiedenartigkeit ein emotionaler Leidensdruck oder Schwierigkeiten im Umgang mit den gesellschaftlichen Normen. In den Worten der Hochsensibilitäts-Pionierin Elaine Aron: „Aber vielleicht sind unterm Strich alle Gehirne verschieden und manche sind eben verschiedener als andere.“ Schätzungsweise 15 bis 20% der Weltbevölkerung sind neurodivergent.

Unser Vorgehen 

Zuerst schauen wir, wie wahrscheinlich es ist, dass Sie neurodivergent sind. Wenn vieles dafür spricht, entscheiden wir gemeinsam, ob wir es bei dieser Erkenntnis belassen oder den formaleren Weg einschlagen und ein diagnostisches Screening mit ev. nachfolgender externer Abklärung auf AD(H)S, Autismus o.a.  vornehmen. Dies kann auch die Evaluation bestehender oder fraglicher anderer Diagnosen beinhalten. 

Solange Sie sich auf mich und meinen Ansatz einlassen möchten und Ihr individuelles Anliegen in meiner Kompetenz und Kapazität liegt, können wir aber auch direkt den therapeutischen Weg beschreiten. Dabei achten wir darauf, dass wir mit Ihrem Nervensystem arbeiten und nicht dagegen. So dürfen endlich die positiven Seiten Ihrer Veranlagung zum Zug kommen! 

Meine Werte

Es ist mir wichtig, Ihnen einen sicheren Raum bieten zu können, in dem Sie so angenommen werden, wie Sie sind- aus einer Haltung von wohlwollender und bedingungsloser Akzeptanz Ihrer Einzigartigkeit heraus. 

Ich achte auf eine Neurodivergenz-bejahende Sprache. Dies geschieht aus meiner Anschauung hinaus, dass Neurodivergenz an sich keine Pathologie ist, sondern ein Zeichen natürlicher menschlicher Vielfalt und eine Veranlagung, die auch viele Stärken mit sich bringen kann. Ich spreche daher nicht von "Defizit". Im Falle von ADHS und ASS benutze ich ausnahmsweise noch solange den Begriff „Störung“, bis nicht-wertende Alternativen verfügbar sind. Falls nicht anders gewünscht, wähle ich eine identity-first-Sprache (z.B. "autistisch oder  Autist:in sein" anstatt "Autismus haben"), weil dieser sprachliche Ansatz die Selbstwahrnehmung der meisten neurodivergenten Personen wiederspiegelt. Eine Unterscheidung nach Funktionalität ("hoch-/ niedrigfunktional") mache ich nicht. 

Meine Praxis ist so eingerichtet, dass Sie frei wählen können, wie sie sich am liebsten darin aufhalten. Skills und ein Hängesessel stehen zur Verfügung. Ich berücksichtige zudem Ihre Bedürfnisse, was z.B. Augenkontakt oder Händeschütteln betrifft. 

Wie stehe ich persönlich im Zusammenhang mit Neurodivergenz? 

Ich habe persönliche und private Berührungspunkte mit Neurodivergenz. Zudem treffe ich in meiner Praxis häufig auf neurodivergente Menschen, die sich dessen nicht bewusst sind, für die diese Erkenntnis jedoch eine Wendung zum Besseren in ihrem Leben darstellt. So habe ich ein grosses Interesse an diesem Thema entwickelt. Gleichzeitig bin ich verwundert, wie wenig Auseinandersetzung mit Neurodivergenz in der psychologischen Forschung, Lehre, klinischen Praxis sowie in Kontexten wie der Politik oder der Arbeitswelt stattfindet. Umso erstaunlicher, als der Begriff in den sozialen Medien und den englischsprachigen Regionen mittlerweile verbreitet ist. Ich gehe davon aus, dass zukünftig mit steigendem Wissen über Neurodivergenz Konzepte erweitert und Erhebungsinstrumente überarbeitet werden müssen, um der Vielfalt der neurodivergenten Präsentationsformen gerecht zu werden. Auch in der Berufs- und Alltagswelt muss Neurodivergenz Eingang finden, um Betroffenen mehr Wohlergehen und Möglichkeiten zu gewähren. 

Ich setze mich für die Anerkennung von Neurodivergenz und besseren Bedingungen für neurodivergente Menschen ein, weil ich täglich sehe, wie schädlich es ist und wieviel Lebensqualität und Potenzial verloren geht, solange kein Bewusstsein dafür vorhanden ist und stillschweigende Anpassung erwartet wird. So verfolge ich aufmerksam die Entwicklung der Neurodiversitätsbewegung.